nussknacker und mausekönig - Drosselmeier und Neffe Drosselmeier und sein Neffe

8) Onkel und Neffe:

 

Wenn man sich an einer Glasscherbe schneidet, ist diese Verletzung sehr schmerzhaft und es dauert lange, bis die Wunde wieder verheilt ist. Deshalb musste Marie eine ganze Woche lang im Bett liegen bleiben. Wenn sie versuchte aufzustehen, wurde ihr sofort schwindlig. Aber endlich war sie wieder gesund und konnte lustig im Kinderzimmer herumspringen. Ihr Vater hatte den Glasschrank im Wohnzimmer sofort reparieren lassen. Anschließend hatten die Mutter und ihr Bruder Fritz alle Puppen und Soldaten wieder ordentlich im Schrank aufgestellt. Die Häuser und Bäume in den Fächern glänzten genauso hell in der Sonne wie die Puppenstube im untersten Fach. Auch ihren Nussknacker entdeckte Marie im zweiten Fach von unten, in dem die Spielzeugsoldaten ihres Bruders Fritz stationiert waren. Er lächelte das Mädchen mit gesunden Zähnen freundlich an. Alles war wieder in bester Ordnung.

Marie betrachtete die kleine Holzpuppe liebevoll. Dabei wurde ihr bewusst, dass das Schicksal ihres eigenen Nussknackers im Märchen von der harten Nuss beschrieben wurde. Dieser war tatsächlich der Neffe ihres eigenen Patenonkels Drosselmeier und von Frau Mauserinks verhext worden. Marie war beim Vorlesen des Märchens von der harten Nuss sofort klar, dass der Hofuhrmacher Drosselmeier und der Amtsrichter Drosselmeier ein und dieselbe Person waren.“Aber warum half dir dein Onkel denn nicht?“, fragte Marie laut, obwohl sie allein im Wohnzimmer stand. War ihr Nussknacker denn nicht der Herr über alle Puppen und Spielzeugfiguren? Und ging es denn nicht in dieser unglücklichen Schlacht mit den Mäusen um sein Reich und seine Krone? Maries Gedankenwelt kreiste immer lebhafter um den Nussknacker, die Schlacht und den Mausekönig. Schließlich war sie fest davon überzeugt, dass die Puppen im Schrank lebendig waren und ihr tatsächlich zuhörten, obwohl sie sich nicht bewegen konnten. Diese Bewegungslosigkeit führte sie einfach auf einen Zauberbann der toten Mäusehexe zurück. Also sprach sie zum Nussknacker: „Ich weiß, dass Sie mich verstehen können, lieber Herr Drosselmeier, obwohl Sie ganz starr und still im Glasschrank stehen. Sie sollen wissen, dass ich Ihnen immer helfen werde. Auch werde ich meinen Patenonkel Drosselmeier auffordern, Ihnen mit seiner Geschicklichkeit zur Seite zu stehen.“ Nussknacker blieb still und ruhig, aber Marie war es, als höre sie einen leisen Seufzer. Dann glaubte sie einen feinen Gesang zu hören, der durch die Scheiben des Glasschranks drang: „Maria klein – Schutzengel mein, dein werde ich sein – Maria mein!“ Dem kleinen Mädchen lief ein eiskalter Schauder über den Rücken, aber gleichzeitig verspürte sie Wärme und Wohlbehagen. Traumwelt und Wirklichkeit schienen in ihrem Geist zu verschmelzen.

 

Als die Dämmerung hereinbrach, kehrte ihr Vater aus seiner Arztpraxis nach Hause zurück. Der Patenonkel Drosselmeier begleitete ihn, um gemeinsam mit dessen Familie eine Tasse Tee zu trinken. Bald darauf hatte die älteste Tochter Luise den Teetisch gedeckt und die ganze Familie saß plaudernd beieinander. Marie war die ganze Zeit über still und nachdenklich geblieben. Jetzt holte sie ihren Kinderstuhl hervor und rückte ihn vor die Füße ihres Patenonkels. Dieser sah sein Patenkind liebevoll an. Als alle anderen gerade einmal schwiegen, musterte Marie den Patenonkel Drosselmeier mit ihren großen, blauen Augen eindringlich und sprach: „Ich weiß jetzt, lieber Patenonkel, dass mein Nussknacker dein Neffe ist. Er ist im Spielzeugreich Prinz und König geworden, wie es dein Freund, der Hofastronom, vorhergesagt hat. Und du weißt auch, dass er mit dem Sohn der Frau Mauserinks im Krieg steht. Dieser hässliche Mausekönig will ihn in Stücke beißen. Warum hilfst du ihm denn nicht in seiner Notlage?“ Sie berichtete noch einmal sehr ernsthaft über den Verlauf der Schlacht, wobei sie oft durch das Gelächter ihrer Eltern und ihrer Schwester Luise unterbrochen wurde. Nur Drosselmeier und ihr Bruder Fritz blieben ernst. „Woher hat das Kind nur all diese Hirngespinste? ,“ fragte der Vater kopfschüttelnd. „Das kommt vom Wundfieber,“ beruhigte ihn die Mutter. „Im Übrigen hat sie halt eine lebhafte Fantasie wie so viele Kinder in ihrem Alter.“ „Das ist alles nicht wahr,“ warf Fritz verärgert ein.“Solche Feiglinge sind meine roten Husaren nicht. Andernfalls würde ich sie streng bestrafen!“ Der Patenonkel Drosselmeier setzt Marie vorsichtig auf seinen Schoß und sprach ganz sanft zu ihr: „Im Gegensatz zu uns allen hier bist du genauso eine Prinzessin wie Pirlipat und wirst einst in einem schönen Königreich herrschen. Aber vorher musst du noch viel Leid ertragen, um den armen, verzauberten Nussknacker vor dem bösen Mausekönig zu retten. Ich kann ihm nicht helfen. Das kannst nur du alleine; also sei immer tapfer und treu.“ Weder Marie noch der Rest der Familie verstand, was der Patenonkel Drosselmeier damit eigentlich sagen wollte. Maries Vater ergriff das Handgelenk des Amtsrichters und fühlte dessen Puls. „Verehrter Freund, Sie scheinen unter starken Kopfschmerzen zu leiden,“ sagte er besorgt. „Deshalb will ich Ihnen sogleich ein Medikament verschreiben.“ Maries Mutter schüttelte jedoch den Kopf und sprach leise: „Ich verstehe sehr wohl, was der Herr Amtsrichter sagen möchte, aber mit deutlichen Worten ausdrücken kann ich es nicht.“

 

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